Stereotypen beim Testen entkräften: Sixsentix QA Expertin über die Testrealität

06. September 2023

Evgeniia Antonova

Lernen Sie Evgeniia Antonova kennen, eine QA Expertin aus dem Sixsentix Deutschland Team. Mit einer bemerkenswerten jahrzehntelangen Reise als ISTQB-zertifizierte Testmanagerin hat Evgeniia die Komplexität verschiedener Testmethoden, strategischer Details und praktischer Aspekte des Testmanagements in großen und komplexen Projekten erkundet - auch solcher, die mit SAP in verschiedenen Branchen zu tun haben.

 In ihrer täglichen Arbeit knüpft Evgeniia Antonova Verbindungen zu Testern, die aus verschiedenen Ecken der Welt und aus unterschiedlichen Industrien stammen. Da sie seit mehr als zehn Jahren eng mit Testern aller Ebenen und Hintergründe zusammenarbeitet, hat sie festgestellt, dass es häufig falsche Vorstellungen über deren Beruf gibt. In diesem Interview gehen wir diesen Vorurteilen auf den Grund, geleitet von Evgeniias aufschlussreichen Perspektiven, um die Wahrheiten aufzudecken, die diese Vorstellungen entweder bestätigen oder entkräften.

Stereotyp #1. Prüfer sind "Perfektionisten" oder "Nörgler" 

Für mich ist dieses Klischee nicht ganz richtig. Was die Denkweise von Testern angeht, so sollten sie auf jeden Fall auf die Details achten. Aber sie wissen auch, dass Perfektion niemals erreichbar ist und Tests nicht zu 100 % erschöpfend sein können. 

Außerdem sollten die Tester das große Ganze nicht aus den Augen verlieren und den Kundennutzen in den Vordergrund stellen. So bewerten und gewichten sie beispielsweise alle gefundenen Fehler, um unnötige Verzögerungen bei der Inbetriebnahme zu vermeiden.

In Bezug auf dieses Klischee lautet meine Schlussfolgerung wie folgt:

- Tester achten auf die Details, aber sie wissen, dass Perfektion unmöglich ist. 

- Nicht jeder Fall kann durch Softwaretests abgedeckt werden. Der Fokus der Testings liegt immer auf den für den Kunden wichtigen Use Cases.

- Tester bewerten Fehler und ordnen Risiken nach Priorität, um Verzögerungen zu vermeiden.

Stereotyp #2. Testern fehlt es an technischen Fähigkeiten

Dies ist ein weit verbreitetes Klischee über Tester, weshalb ich dieses Klischee aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachten möchte:

  1. Der Ursprung dieses Stereotyps beruht wahrscheinlich auf der Vorstellung, dass manuelle Tests der einfachste Weg sind, um eine Karriere in der IT-Branche zu beginnen, und daran mag etwas Wahres dran sein. Ich persönlich bin mit nur wenigen technischen Kursen von der Universität, einem viermonatigen Crash-Testing-Kurs, einem ISTQB-Zertifikat und ein paar Monaten Erfahrung als Betatester für professionelle Software, die ich in einem früheren Job verwendet hatte, in den Beruf eingestiegen. Damit hatte ich eine gute Grundlage, um mein Fachwissen weiterzuentwickeln.
  2. Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist der Einfluss von Trends in der Softwareentwicklung, durch die die erforderlichen technischen Fähigkeiten manchmal neu definiert werden können. Vor ein paar Jahren war es zum Beispiel schwierig, einen Selenium-Testautomatisierer zu finden, da sich viele auf kodierungsfreie Testautomatisierungs-Tools konzentrierten. Es scheint jedoch, dass Selenium und Cypress jetzt wieder an Popularität gewinnen. Dies bedeutet, dass auch die Tester ihre technischen Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Selbst wenn jemand ein "codefreies" Testautomatisierungswerkzeug verwenden kann, reicht das nicht aus, um als Testautomatisierungsingenieur bezeichnet zu werden. Das Verständnis von Softwarearchitektur, Datenbanken, Protokollen und anderen technischen Aspekten ist nach wie vor erforderlich.
  3. Der Bereich des Testens ist sehr vielfältig. Bestimmte Arten von Tests, wie z. B. Penetrations- oder Sicherheitstests oder spezifische Infrastrukturtests, erfordern nicht nur tiefgreifende technische Kenntnisse, sondern manchmal auch zusätzliche Zertifizierungen. Einige dieser technischen Fähigkeiten sind in der Tat eine teure Rarität.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Klischee meiner Meinung nach zu etwa 65 % zutrifft. Die restlichen 35 % sind auf Vorurteile oder falsche Erwartungen zurückzuführen.

Stereotyp #3. Tester sind Dokumentationsenthusiasten

Ich halte dies für einen entscheidenden beruflichen Charakterzug. Eine gut gepflegte Rückverfolgbarkeitsmatrix und Dokumentation sind unerlässlich. Detailliert dokumentierte Fehler können Entwicklern helfen, das Problem schneller zu reproduzieren und zu beheben. Testprotokolle oder Testabschlussberichte können bei Audits von großem Nutzen sein. Einige meiner Kollegen sagen sogar: "Wenn etwas nicht aufgeschrieben ist, ist es nie passiert."

Stereotyp #4. Tester sind kritische Denker

In meinen Augen ist kritisches Denken für Tester unerlässlich! Ihre Fähigkeit, Fehler aufzudecken oder User Stories zu verfeinern, ist wichtig. Durch aufschlussreiche Fragen verbessern Tester die Akzeptanzkriterien und bringen vergessene Anwendungsfälle ans Licht, insbesondere die "unglücklichen" Pfade und Randfälle. Normalerweise folgt ein guter Tester nicht nur einigen vordefinierten Schritten, sondern schaut sich auch um und behält das Gesamtbild im Auge.

Um mit meiner subjektiven Meinung abzuschließen: Tester als Dokumentationsenthusiasten und kritische Denker zu sehen, ist kein Stereotyp, sondern vielmehr eine berufliche Anforderung, die für den Erfolg eines jeden Projekts entscheidend ist. 

Stereotyp #5. Tester sind einfach gescheiterte Entwickler

Diese Vorstellung hört man zwar oft, aber sie entspricht nicht meiner Erfahrung. Im Gegenteil, ich habe Tester kennengelernt, die erfolgreich in Funktionen wie Frontend-Entwickler oder Datenbankadministratoren übergegangen sind. Außerdem kenne ich Penetrationstester, die sich auch als talentierte Entwickler auszeichnen. In Anbetracht der vorherrschenden Trends in der Softwareentwicklung, die den Schwerpunkt auf eingebaute Qualität legen, denke ich, dass die Rollen von QA und Entwicklern immer mehr Fähigkeiten voneinander übernehmen werden.

Stereotyp #6. Tester befolgen nur Anweisungen und haben kein kreatives Denken

Meine erste Frage wäre hier: "Wer schreibt diese Anweisungen?!"

Der Entwurf von Testfällen kann beträchtliche Kreativität erfordern, insbesondere wenn komplexe Datenszenarien oder Systemintegrationen ins Spiel kommen. Bestimmte Test- und Planungsphasen erfordern mitunter enorme Kreativität - die Entwicklung verschiedener Optionen und Wiederherstellungsstrategien. Die Architektur der Testautomatisierung ist gleichermaßen analytisch und kreativ.

Hier ist eine Anekdote, die mir gerade in den Sinn gekommen ist.

Testen der Bar.

Ein junger Tester schließt den Test einer neuen Bar ab. Er bestellt ein Bier - 1 geht gut. Er bestellt 999 Biere - alles ist in Ordnung. Er probiert einen Gin Tonic - immer noch kein Problem.

Am Eröffnungstag der Bar kommt ein Kunde herein und fragt nach der Toilette... Bums! 😊

Die Tester sollten also manchmal über den Tellerrand schauen und verschiedene "Hüte" ausprobieren.

Fazit

In ihrem Bemühen, die Welt des Testens zu verstehen, hat Evgeniia Antonova die Vielschichtigkeit dieses Berufs aufgezeigt. Stereotype, die oft auf Missverständnissen beruhen, können die Komplexität und Bedeutung des Testens nicht erfassen. Tester sind nicht einfach nur Ankreuzer, sondern dynamische Fachleute, die technisches Fachwissen, kritisches Denken und Kreativität miteinander verbinden. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Testen kein Bereich der monotonen Wiederholung ist. Vielmehr handelt es sich um einen lebendigen Bereich, in dem Innovation auf Präzision und Fleiß auf Kreativität treffen.

Wenn Sie sich für die Rolle der Tester in der Softwareentwicklung interessieren und einen Beitrag zur sich ständig weiterentwickelnden Welt der Qualitätssicherung leisten möchten, laden wir Sie ein, die offenen Stellen bei Sixsentix hier zu erkunden here.